Öffentliche Führungen Jacques Nestlé
Am 11. März 1991 starb der Künstler und Innenarchitekt Jacques Nestlé in Paris. Seine letzten Jahre verbrachte er schwer erkrankt in ärmlichen Verhältnissen. Beigesetzt wurde er in einem Armengrab auf dem Friedhof von Pantin. Nach seinem Tod musste das Atelier in der Rue des Orteaux geräumt werden. Viele seiner Arbeiten wurden in Müllcontainern entsorgt, dort allerdings von Pariser Kunsthändlern entdeckt und in Umlauf gebracht. Der restliche Atelierbestand wurde von Galerien und Privatpersonen angekauft und fand seinen Weg in Auktionen und den Kunsthandel.
Das formvital beeindruckende und außerordentlich vielgestaltige Werk, das Jacques Nestlé hinterlassen hat, ist größtenteils unbekannt und derzeit kaum überschaubar. Auch der Künstler selbst ist nahezu vergessen, verdient jedoch eine angemessene Aufmerksamkeit im Kanon der Moderne.
Der Mann, der sich später Jacques Nestlé nannte, wurde 1907 als Arthur Ludwig Jakob Nestle in Saarbrücken-Klarenthal geboren. Im Alter von 16 Jahren zog er nach Paris, wo er eine Anstellung in einer Lithografiewerkstatt fand. Dort sah Henri Matisse seine Zeichnungen und ermutigte ihn, seine künstlerische Arbeit fortzusetzen.
1925 übersiedelte Nestle nach Berlin und arbeitete als Schaufenstergestalter für große Kaufhäuser. Daneben war er weiterhin künstlerisch tätig, nahm Einflüsse expressionistischer Kunst, von Paul Klee, Wassily Kandinsky und der weiteren Bauhaus-Avantgarde auf. 1927 stellte er fünf Grafiken in der Herbstausstellung der Preußischen Akademie der Künste aus, und seine Arbeiten wurden in Kunstmagazinen publiziert.
Als offensiver Gegner des Nationalsozialismus erhielt Arthur Nestle Morddrohungen, flüchtete 1933 nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler aus Berlin und kehrte ins Saargebiet zurück.
Um 1935 verließ Arthur Nestle Saarbrücken und ließ sich in Paris nieder, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Aus Angst vor Verfolgung vermied er jeglichen Kontakt nach Deutschland, auch zur eigenen Familie, und nahm den Namen Jacques Nestlé an. In Paris arbeitete Nestlé als Innenarchitekt für die SNCF, beteiligte sich 1937 an der Gestaltung der Weltfachausstellung “Exposition Internationale des Arts et Techniques dans la Vie Moderne” in Paris und widmete sich intensiv der Malerei. Die Arbeiten dieser Zeit sind geprägt von figurativen Motiven in postkubistischer Abstraktion. In dieser Zeit suchte Nestlé den Kontakt zu dem bedeutenden Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler, der schon George Braque, André Derain, Juan Gris und Pablo Picasso gefördert hatte. Kahnweiler wollte auch Nestlé unterstützen, doch dieser nahm das Angebot nicht an.
In den 1950er Jahren setzen die intuitiven Malereien der Lyrischen Abstraktion, ebenso wie der Abstrakte Expressionismus US-amerikanischer Prägung, wesentliche Akzente in der internationalen Kunstszene, und Paris wurde erneut zur pulsierenden Kunstmetropole. Auch Jacques Nestlé nahm diese Einflüsse auf und entwickelte eine Position, die maßgeblich von Künstlern wie Bram van Velde oder Robert Motherwell inspiriert wurde. “Von einem unbändigen Wunsch getrieben,” wie er selbst formuliert, “jenseits rationaler Vorstellungen zu malen”, entstehen vitale Kompositionen von eruptiver Impulsivität.
Zeit seines Lebens hielt Jacques Nestlé seine künstlerische Arbeit eher verborgen und trat mit seinem Werk selten an die Öffentlichkeit. Erst posthum wurden seine Malereien von Galerien in Brüssel, Luxemburg und London präsentiert sowie in Einzel- und Gruppenausstellungen in Paris und St. Petersburg.
Das Laboratorium – Institut für aktuelle Kunst im Saarland zeigt nun die bundesweit erste Werkschau mit Arbeiten von Jacques Nestlé. Das Spektrum umfasst das Frühwerk mit noch nie öffentlich präsentierten Malereien aus Familienbesitz und Arbeiten aus der Collection Danielle Moos, Paris, die das Schaffen der 1940er bis 1980er Jahre dokumentieren, in denen Jacques Nestlé den Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens erreichte.